BAP-Logo-Fan-Tourtagebuch

Gersthofen, 5. Dezember 2016
Stadthalle

Ein Bericht von Thomas Uhle

27 Jahre nach meinem ersten BAP-Konzert, ein paar Jahren irgendwo dazwischen ohne „gefühlsmäßigen“ Zugang zu den aktuellen Liedern und zu viel Abfeiern mit verschiedensten Gastmusikern und Best-of-Variationen hatte ich nach dem ersten Hören von „Lebenslänglich“ tatsächlich richtig Lust auf einen Besuch dieser Tour. Im Frühjahr hatte es nicht gepasst, im Sommer auch nicht so richtig und kurz vorm Tour-Ende stand der Termin in Gersthofen an. Where the f*@k ist Gersthofen?!? Die Frage nach dem Weg dorthin ist im Zeitalter der Navis leicht beantwortet, der so entmündigte Konzertbesucher findet leicht hin. Schöne Überraschung: Die kleine Stadthalle mag vor allem tatsächlich klein sein. Aber ich habe im Lauf meiner Konzertbesucher-Karriere schon viele Hallen gesehen, die ungeeignet waren. Diese hier aber hat bei mir auf Anhieb einen Stein im Brett. Ein Konzertsaal, der nach hinten sanft ansteigt, sowohl für klassische Konzerte und Stuhlreihen geeignet als auch für die rockigen Abende, weil die Sicht auf die Bühne vermutlich von jedem Platz mindestens passabel ist. Die Akustik war gut, wobei der Diensthabende am Mischpult im Lauf des Abends ein bisschen nachgelassen hat.

Die Setliste bringe ich nicht mehr in die richtige Reihenfolge und wenn ich diesbezüglich auf Chrischis Seite als Gedächtnisstütze gehofft hatte, lag ich damit falsch. Aber verglichen mit den Abenden zuvor dürfte sich seltsamerweise wenig geändert haben. „Frau ich freu mich“ war ein klasse Einstieg, dazu noch richtig pünktlich. Mit den Klassikern ging es weiter und Wolfgang Niedecken war gut aufgelegt und in Plauderlaune. Das ist etwas, was ich zwar von der „Märchen“-Tour 2014 noch in Erinnerung hatte. Aber mir kommt es vor, dass ihm das Erzählen und Ansagen selbst viel mehr Spaß macht, wenn die Halle kleiner ist. Und klein und familiär ist es in Gersthofen mit seinen 1.200 Zuschauern nun wirklich.
Was mich darauf bringt, dass wie sehr sich BAP (und die Größe der Locations) im Lauf der 27 Jahre verändert haben. Klar, hipp waren sie vermutlich seit Mitte oder Ende der Achtziger nicht mehr. Aber ich kann mich an kaum ein Konzert erinnern, in dem so wenig junge Leute im Zuschauerraum waren. Vielleicht waren die alle in den ersten drei Reihen versteckt, was ich von meinem hinten gelegenen Platz her nicht so gut beurteilen konnte. Aber es war auffällig, dass BAP wohl auf ihrem langen Weg mittendrin mal eben ein paar Generationen möglicher Fans „verloren“ haben. Mir selbst haben um den Jahrtausendwechsel die zwingenden Song-Ideen gefehlt. Das ist subjektiv, jedem gefällt was anderes. Aber gerade im Vergleich mit den Klassikern oder auch mit dem gern erwähnten Bruuuuce sehe ich da eine ziemliche Diskrepanz. Mir gefallen Stücke vom neuen Album, ich verstehe auch die Motivation hinter Liedern wie dem „Vollkasko-Desperado“. Aber ein guter Song ist das deswegen noch lange nicht. Für mich hat sich der Mittelteil mit „Vision vun Europa“ und „Diego Paz wohr nüngzehn“ deshalb etwas in die Länge gezogen. Engagierte Texte ohne Frage. Aber ein paar in Szene gesetzte Gitarren-Soli weniger, ein bisschen zuviel „Windmühlen-Rock“ – aber die Geschmäcker sind verschieden. Mittendrin: „Alles relativ“ mag kein genialer Song sein, aber ich finde ihn wie so viele andere Selbstreflexionen Niedeckens klasse.

Mir kam nach dem Konzert der Gedanke, dass es der Band auch nicht gut getan hat, dass Niedecken über die Jahre mit manchem Mitstreiter gehadert hat. Natürlich stand der Major für etwas, was BAP so nicht waren – ein internationaler Rock-Act. Ein paar Stücke gehen auf sein Konto, mit denen ich musikalisch wenig anfangen kann. Das „X für ´e U“-Album und auch „Pik Sibbe“ klingen für mich an manchen Stellen belanglos und glattgebügelt. Nicht unbedingt bei den Texten, aber bei den Melodien. Da war die Luft raus, die auch ein Multiinstrumentalist wie Jens Streifling nur bedingt zurückbringen konnte. Dafür hatte er wohl zu wenig Herzblut für diese Art von Band übrig.
Trotzdem meine ich, dass „Alles im Lot“ eine Nummer ist, die viele BAP-Fans gern hören würden. "Fortsetzung folgt..." war eines der Highlights für mich. Das Album „Ahl Männer, aalglatt“ wurde in Gersthofen dagegen leider völlig übergangen. Kurios, aber das war ein tolles Album. Vielleicht weil es von dem Konflikt innerhalb der Band (und auch Niedeckens privaten Sorgen, die in ungeschminkte Texte wie „Endlich allein“ eingeflossen sind) profitiert hat und daraus eine enorme Spannung gezogen hat.

An diesem unterhaltsamen Abend in Gersthofen war das aber erstmal fast egal. Ich hatte meinen Spaß mit Wolfgang Niedecken und der offenkundig gut gelaunten, runderneuerten Band. Das war Spielfreude, das war professionell, aber voller Leben. Allein der Zugabenblock erreichte die Länge, mit der andere sonst ein ganzes Konzert bestreiten. Das hat sich definitiv nicht geändert in den 27 Jahren, ist eher noch ausgebaut worden. So dauerte der Abend dann 3:20 Stunden und es war wirklich für jeden was dabei. Was mir ganz für mich gefallen hat: Wie viele Textzeilen für die Ewigkeit (meine ganz persönliche) Niedecken über die Jahre aufs Papier gebracht hat. Wie sehr mir manche Lieder einfach ans Herz gewachsen sind, weil ich sie mit einer bestimmten Phase in meinem Leben verbinde. Er mag 65 Jahre alt sein, aber mit dieser Band (Anne de Wolf, die ungefähr 25 verschiedene Instrumente beherrscht!) kann das noch eine Weile so weitergehen. Sehr gern auch wieder nach dem Motto „Roll over Gersthofen!“