Der Rock-'n'-Roll-Altar

DIE DINGE DES LEBENS
von Wolfgang Niedecken

In der Saarlandhalle zu Saarbrücken war es fast mal so weit, dass man uns in Zwangsjacken abgeführt hätte. Jedenfalls, die Mienen der hinter der Bühne diensthabenden Feuerwehrmänner und Sanitäter konnten entsetzter nicht sein. Dabei hatte mit dieser transportablen Hausbar doch alles so harmlos angefangen, angesichts deren wir an jenem Abend im April 99 unmittelbar vor der Show mittels einer eher homöopathischen Dosis Grappa den "heiligen drei Königen'' huldigten, was wiederum weniger mit den drei Kronen im Kölner Stadtwappen als mit dem desaströsen, in Insiderkreisen aber legendären Auftritt der Herren Richards, Wood und Dylan beim 85er Live-Aid-Spektakel in Philadelphia zu tun hatte.

Aber der Reihe nach: Den Anfang machte ein gerahmtes Foto, das unsere drei Helden im Dienst der guten Sache bei der Verrichtung ihrer Arbeit zeigt und seit einer Ewigkeit die Wand unseres Proberaums zierte. Hatten die Jungs doch, wenn auch reichlich zugedröhnt, so ziemlich als einzige die Rock-'n'-Roll-Fahne hochgehalten, was in diesem Fall einmal mehr weniger eine Frage der musikalischen Qualität als vielmehr eine Frage der Haltung war. (Zu ihrer Entlastung sei den nachtragenden unter den Miesepetern gesteckt, dass sie in diesem Football-Stadion ohne Monitor-Anlage gegen den hinter ihnen probenden, nur durch einen Vorhang abgetrennten Allstar-Final-Chor anzukämpfen hatten, was schon nüchtern zu den unlösbaren Aufgaben gezählt hätte.)

Um dieses Foto herum hatte sich jedenfalls im Lauf der Zeit einiges an Krempel angesammelt, Souvenirs von diversen Tourneen, Fangeschenke, Rock-'n'-Roll-Devotionalien aller Art und natürlich ein türkisches Weihnachts-Lichterketten-Blinkobjekt, das mir meine Söhne irgendwann mal grinsend beschert hatten. Darunter standen meistens zwei Grappaflaschen, Verdauungshilfen, falls uns der Caterer wieder mal allzu sehr verwöhnt, sowie eine imposante Batterie Schnapsgläser mit Aufschriften von Gottweißwo. Irgendwie war wie von selbst, ohne dass es einer bemerkt hatte, besagtes Foto zu einer Art Kultstätte ausgewuchert, die das dazugehörende Ritual gleich mitlieferte, denn als Trinkspruch hatte sich mangels eines besseren "Auf die heiligen drei Könige'' etabliert. Von dem Moment an, in dem wir die Existenz unseres Altars bemerkten, bis zu dem Beschluss, ihn roadtauglich in einem Flightcase zu installieren, war es dann nicht mehr weit. Jedenfalls erschüttert das Ding seitdem landauf, landab wackeres Ordnungspersonal, Sanitäter, Feuerwehrleute und was sich sonst noch so mit oder ohne Funktion im Backstage-Bereich zu schaffen macht.

Die Zwangsjacken sind uns dann erfreulicherweise letztendlich doch erspart geblieben, aber wieso und in welcher Stimmung wir nach der Huldigung am besten vors Publikum treten, ist uns spätestens seit der Einführung unseres transportablen Rock-'n'-Roll-Altars noch überall eingefallen. Abgesehen davon hat unser kleines Ritual, ergänzt mit dem Zusatz "...und auf den Wettergott!'' Erstaunliches bewirkt: Hatten wir uns in den Sommern zuvor noch mit einer Schlechtwetterquote von 90:10 abzufinden, so hat sich das inzwischen exakt umgekehrt. Zuletzt bei der Livepräsentation unseres neuen Albums, neben der darauf abgebildeten Bauruine auf einem Acker bei Euskirchen, als im restlichen Kölner Umland eine Sturmböe der Stärke acht tobte, nur bei der "toten Brücke'' nicht. Spätestens seit dieser Begebenheit achtet wohl auch der letzte Zweifler in der Band auf exakte Einhaltung der Liturgie: "Nä, nä, bloß nix anders machen als sonst, wer weiß, was dann womöglich alles schief geht!?''

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 08.09.2001